Beisetzung

Trauerfeier am 25.8.2016 in der St. Bartholomäus-Kirche in
Überacker
mit anschließendenr Urnenbeisetzung
(25. August 2016)

Eingangslied

Liebe Mama und lieber Papa, liebe Mariella, liebe Großeltern, liebe Angehörige, sehr geehrte Trauergemeinde! Ich begrüße alle, die gekommen sind, weil wir Abschied nehmen müssen von Nicolas, Ihrem Sohn, Ihrem Bruder, Ihrem Enkel. Am 4. August ist er gestorben.

Heute sind wir vor seiner Urne, vor dem Häuflein Asche in dieser Urne, das von seinem Körper übrig geblieben ist. Dieser Anblick fällt uns nicht leicht, denn er führt uns recht realistisch vor Augen, was am Ende von einem Menschen bleibt, was bleibt von der Hülle, die das einschloss, was wir gern gehabt haben.

Ja, eine Stimme, die uns vertraut war, schweigt; Nicolas, der zu uns einfach dazugehört hat, ist nicht mehr. Er braucht uns nicht mehr. Wir halten inne.

Vergangenes zieht in Gedanken vorbei: Gemeinsame Tage, Stunden, in denen wir miteinander lachten,  und Stunden, in denen es schwer war. Viele Erinnerungen werden an dieser Urne in uns wach.

Lassen wir nun ein wenig da sein von unseren Erinnerungen. Lassen wir an der Urne von Nicolas ein wenig da sein von seinem Leben und von seinem Wesen:

Am 27. Dezember 1998 kommt Nicolas in Starnberg auf die Welt. Ganz bewusst haben sich die Eltern für die Klinik dort entschieden, damit ihr Kind – im Falle des Falles – gleich optimal versorgt werden kann. Dann ist der Kleine da. In den ersten Stunden ist für die Eltern noch alles ok, doch die Hebamme hat es sofort gesehen, dass er ein Down-Kind ist. Nach einigen Stunden erfahren die Eltern, dass ihr zweites Kind das Down-Syndrom hat. Eine Welt bricht in diesem Augenblick zusammen. Sie müssen lernen, mit einem behinderten Kind zurecht zu kommen. Mariella hat nun einen behinderten Bruder. Ganz gewiss ist das eine ungeheure Herausforderung, eine riesige Aufgabe. Papa und Mama schaffen es, ihn so zu nehmen, wie er ist, und tun alles, damit Nicolas gefördert wird. An unzähligen Therapien nimmt die Mutter mit dem Kleinen teil. Immer mehr wächst die Familie an dem, was nun ihr Alltag ist. Und Nicolas erobert die Herzen von Mama, Papa und seiner Schwester. Er entwickelt sich auch super. Äußerst lebensbejahend ist er.

Mit 18 Monaten läuft der Bub. Natürlich freut man sich darüber, aber man muss nun eben auch höllisch aufpassen, denn der kleine Schlingel haut immer ab. Über den Zaun geht es und weg ist er. Nicolas lernt das Kettcar-Fahren und das Radfahren und ist begeisterter Radlfahrer. Er kann auch schwimmen. Bewegung ist für ihn immer wichtig und schön. Nach dem Kindergarten in der integrativen Gruppe hier kommt er in die Cäcilienschule nach Fürstenfeldbruck. In der Heilpädagogischen Tagesstätte ist er am Nachmittag. Nun kann er seinen Namen schreiben und bis 20 zählen, doch auf Rechnen, Lesen und Schreiben hat er sonst keinen Bock. Wenn er irgendwo keinen Sinn und Zweck sieht, dann macht es auch keinen Sinn und Zweck, ihm das beizubringen. Wenn er aber etwas will, dann schafft er das auch. Nicolas ist ein Schelm durch und durch. Natürlich kann man mit ihm gut scherzen. Er liebt es auch, Quatsch zu machen. Diebisch freut er sich, wenn er Sachen versteckt hat. Er ist meist fröhlich. Er liebt Musik und tanzt dazu. Er trommelt mit zwei Messern auf den Rost des Backofens. Ein Sonnenschein ist er. Es ist ganz klar, dass er auch in Verlegenheit bringen kann, wenn er unterwegs die Leute einfach anredet: „Hallo Mann! Hallo Frau!“ Er ist auch ein absoluter Charmeur und umarmt und gibt auch mal schnell ein Küsschen.

Wer ihn kennt, der weiß um seine Vorlieben. Er liebt Schokoladeneis. Im Sommer geht es mit dem Radl oft in die Maisacher Eisdiele. Sein Lieblingsessen ist Nudeln mit Soße. Er schwärmt aber auch für Pommes, Apfelschorle und Cola.

Er lässt sich gerne fotografieren und macht mit seiner Schwester Quatschfotos. Er liebt die Technik und ist begeistert von einem iPhone oder von einem iPad. Er ist ein FC-Bayern-Fan, auch wenn er bei den Fußballspielen vor dem Fernseher ziemlich bald einschläft. Nicolas hasst Socken und liebt knallige Farben. Rot ist seine Lieblingsfarbe. Er kann ungeduldig sein. Er ist sehr sensibel und einfühlsam. Stimmungsschwankungen nimmt er sofort wahr und sagt dann: „Papa, nicht traurig!“ Nicolas puzzelt gerne und baut riesige Holzeisenbahnen im Wohnzimmer. Er findet den Zirkus Krone super und mag Disney-Filme. Er ist kitzelig und kann Nähe genießen. Ganz genau weiß er, wann Samstag ist, und holt in der Früh die Brötchen ins Haus. Er braucht wenig Schlaf und schaut dann, ob die anderen bereits wach sind.  Immer schon freut es sich auf seinen Geburtstag und auf Geschenke. Seit dem 18. Geburtstag von Mariella freut er sich auf seinen 18. Geburtstag. Er möchte da eine Überraschungsparty in der Garage und am besten auch noch ein Bad im Pool, selbst wenn um diese Zeit Winter ist. Ja, tatsächlich hätte Nicolas heuer gleich nach Weihnachten diesen Geburtstag. Er ist auch recht stolz auf seinen Bart, den er als junger Mann nun hat. Er freut sich auch darauf, dass er nun bald in einer Behindertenwerkstatt arbeiten darf. Für das Jahr, in dem er 18 wird, ist auch einiges geplant. Er sollte heuer für zwei Wochen nach Schweden dürfen und für zwei Wochen in die Türkei. In der Sonne und im Urlaub ist er immer recht schnell braun geworden.  An fingsten war eine Bergfreizeit geplant. All das musste abgesagt werden. Rückenschmerzen hat Nicolas schon eine Weile. Mitte Mai stellen die Ärzte zufällig bei einer Untersuchung fest, dass er Krebs hat. Die erste Chemotherapie verträgt er recht gut, dann gibt es große Schwierigkeiten. Die Eltern bangen und hoffen am Intensivbett. „Krank“, sagt Nicolas zu seinem Papa, und irgendwann sagt er zu seiner Mama „Tschüss“.  Er leidet sehr und spürt vielleicht dass er sterben muss. Schließlich ist sein Tod am 4. August eine Erlösung.

Liebe Eltern, ein ganz besonderes Kind ist Ihr Nicolas gewesen. Nichts drückt Ihre Geschichte mit Ihrem behinderten Kind besser aus, als die Geschichte „Willkommen in Holland“ von Emily Perl Kingsley

Willkommen in Holland

Oft werde ich gebeten, meine Erfahrungen zu beschreiben, wie es ist, ein behindertes Kind zu haben. Um Leuten das Gefühl dieser einzigartigen Beziehung zu erklären, benütze ich oft eine Parabel. Es ist etwa so…

Wenn Sie ein Baby erwarten, dann ist das so ähnlich, als würden sie einen fabelhafte Reise planen – nach Italien. Sie kaufen eine Menge Reiseführer und machen wundervolle Pläne: – Das Kolosseum. Der David von Michelangelo. Die Gondeln in Venedig.

– Vielleicht lernen Sie ein paar nützliche Redewendungen auf Italienisch. Es ist alles sehr aufregend. Nach Monaten freudiger Vorbereitungen ist der Tag schließlich da. Sie packen Ihre Koffer, und los geht’s. Ein paar Stunden später landet das Flugzeug. Die Flugbegleiterin kommt herein und sagt: „Willkommen in Holland!“ „Holland?“, sagen Sie. „Was meinen Sie mit Holland?? Ich habe Italien gebucht. Ich sollte in Italien sein. Mein ganzes Leben lang habe ich davon geträumt, nach Italien zu reisen.“

Doch es hat eine Änderung des Flugplans gegeben. Sie sind in Holland gelandet, und Sie müssen dort bleiben. Das Entscheidende ist, dass man Sie nicht an einen schrecklichen, widerwärtigen, ekligen Ort voller Hunger und Krankheit verfrachtet hat. Es ist nur ein anderer Ort. Also müssen Sie losziehen und neue Reiseführer kaufen. Und Sie müssen eine völlig neue Sprache lernen. Und Sie werden ganz andere Menschen treffen, denen Sie sonst nie begegnet wären. Es ist eben ein anderer Ort. Hier geht alles langsamer als in Italien, weniger aufregend. Aber wenn Sie dort erst einmal eine Weile gewesen und zu Atem gekommen sind, sehen Sie sich um… und stellen fest, dass es in Holland Windmühlen gibt,… und in Holland gibt es Tulpen. In Holland gibt es sogar Rembrandts.

Doch all ihre Bekannten waren in Italien oder wollen dort hin, … und sie alle prahlen damit, was für eine tolle Zeit sie da hatten. Und bis ans Ende Ihres Lebens werden Sie sagen: Ja, dahin habe ich auch gewollt. So hatte ich es geplant. Und dieser Schmerz wird niemals, wirklich niemals ganz vorübergehen… denn der Verlust dieses Traumes ist ein sehr, sehr schwerwiegender Verlust. Aber… wenn Sie Ihr Leben damit verbringen, der Tatsache nachzutrauern, dass Sie nicht nach Italien gekommen sind, werden Sie niemals frei sein, die ganz speziellen, wunderschönen Dinge zu genießen, die es in Holland gibt. (Emily Perl Kingsley)

Sie, liebe Eltern von Nicolas, haben gelernt mit einem behinderten Kind zu leben, sich mit und an Ihrem Nicolas zu freuen. „Wir haben mit dir über 17 wunderschöne, unvergessliche Jahre verbringen dürfen. Deine Liebe und deine Fröhlichkeit werden und sehr fehlen.“ So haben Sie in die Todesanzeige für Ihren Nicolas geschrieben.

Ja, wenn wir heute an ihn denken, dann erinnern wir uns gewiss weniger an irgendwelche Daten. Wir erinnern uns vielmehr an die Eigenschaften, die er hatte und die ihn zu einem ganz unverwechselbaren, für uns so besonderen Menschen gemacht haben. Jede und jeder von Ihnen hat eigene Erinnerungen an ihn. Was haben Sie denn an Nicolas so ganz besonders gemocht? Sie, die Sie ihn gekannt, gemocht und geschätzt haben, erinnern sich an seiner Urne an das, was unseren Nicolas ausmachte; Sie erinnern sich an seine Gestalt; Sie erinnern sich an den Klang seiner Stimme. Sie erinnern sich sicherlich auch an das eine oder andere, was er irgendwann einmal gesagt hat. Und ganz bestimmt haben Sie in Ihrer Erinnerung auch die fröhlichen Momente, in denen Sie herzlich mit Nicolas gelacht haben. Worüber konnte er sich freuen? Wann haben Sie ihn denn lachen gehört? Haben Sie jetzt vielleicht sogar sein Lachen im Ohr?

Eine gewisse Irmgard Erath sagt einmal: „Ein Mensch wird nicht sterben, solange ein anderer sein Bild im Herzen trägt.“ Sie alle tragen viele Bilder von Nicolas in Ihrem Herzen. Halten wir jetzt einige Augenblicke inne, um uns an ihn zu erinnern. Lassen wir in uns Bilder und Szenen da sein, von denen wir sagen können: Ja, so war er, und so möchte ich ihn in Erinnerung behalten. Halten wir inne, um das da sein zu lassen, was er für uns gewesen ist, um das da sein zu lassen, was uns jetzt bewegt und berührt.

Musik

Liebe Eltern, liebe Mariella, liebe Familie, liebe Angehörige, sehr geehrte Trauergemeinde! Ich möchte Ihnen in dieser Stunde des Abschieds eine Stelle aus dem Kleinen Prinzen vorlesen. Saint-Exupéry hat uns dieses Märchen geschenkt:

Als der Kleine Prinz weiß, dass für ihn die Zeit gekommen ist, diese Erde zu verlassen, zu seinem Stern heimzukehren, als er weiß, dass für ihn die Zeit gekommen ist, von seinem Freund, dem Dichter, Abschied zu nehmen, da bereitet er ihn auf dieses Ereignis vor. Er erklärt ihm: „Es wird dir Schmerz bereiten. Es wird aussehen, als wäre ich tot, doch das ist nicht wahr… Du verstehst. Ich kann diesen Leib da nicht mitnehmen. Es ist zu weit. Aber er wird daliegen wie eine verlassene Hülle. Man soll nicht traurig sein um solche Hüllen… Du wirst in der Nacht die Sterne anschauen. Mein Zuhause ist zu klein, um es dir zeigen zu können. Aber mein Stern wird für dich einer der Sterne sein. Dann wirst du alle Sterne gerne anschauen. Alle werden sie deine Freunde sein. Du allein wirst Sterne haben, wie sie sonst niemand hat. Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben. Du wirst manchmal dein Fenster öffnen, gerade so, zum Vergnügen… Und alle werden sehr erstaunt sein, wenn sie sehen, dass du zum Himmel blickst und lachst …“

Liebe Eltern, liebe Mariella, liebe Familie, sehr geehrte Trauergemeinde. „Wenn du dich getröstet hast, wirst du froh sein, mich gekannt zu haben.“ Ich wünsche Ihnen, dass sie in diesen Zeilen aus dem Kleinen Prinzen ein Wort des Trostes für sich finden können.

Aus dieser Stunde möchte ich Ihnen, den Eltern, ein Licht, eine Kerze mitgeben, die an der Urne Ihres Nicolas gebrannt hat. Ich habe versucht, auf die Kerze einen Stern zu basteln. Der Weg durch die Trauer ist immer wieder recht schwer, und wenn er gar zu schwer ist, dann soll Sie dieser Stern auf der Kerze an die Geschichte vom Kleinen Prinzen erinnern, dann soll Ihnen dieser Stern sagen: „Mama, Papa, lass den Kopf nicht hängen, schau hinauf zu den Sternen“. Der Weg durch die Trauer ist auch immer wieder dunkel und kalt, und wenn er gar zu dunkel und zu kalt ist, dann soll Ihnen diese Kerze ein wenig Licht und ein wenig Wärme schenken. Was im Tod geschieht, das wissen wir nicht, und wie es dann ganz genau danach sein wird, das wissen wir, wenn wir ganz, ganz ehrlich sind, eigentlich auch nicht. Wir wünschen aber unseren lieben Toten, dass es ihnen gut geht dort, wo sie jetzt sind. Wünschen wir das nun ganz bewusst Nicolas. Wünschen wir ihm, dass er dort, wo er jetzt ist, ein neues Zuhause hat. Ich lege nun meine Hand auf die Urne. Sie alle sind in dieser Geste eingeladen, ihm noch einen guten Gedanken mitzugeben. Vielleicht sprechen Sie in Ihrem Herzen auch ein Gebet, wenn es Ihnen danach zu Mute ist. Manche Menschen bleiben für immer, denn sie hinterlassen Spuren in unseren Herzen.

Schlußlied

Begleiten wir ihn nun auf seinem letzten Weg.

Überacker, 25. August 2016, die Trauerrednerin

Anschließend die Beisetzung im neuen Friedhof.

Gedenkseiten